Hülsenfrüchte sind wichtig. Sie können für die ausreichende und gesunde Ernährung einer steigenden Weltbevölkerung sorgen. Sie helfen aber auch, Zivilisationskrankheiten vorzubeugen. Warum Bohnen, Linsen und Co. das Superfood schlechthin sind oder sein könnten, erläutert Brigitte Pilz.
Vielleicht war Esau doch ein kluger Mann. Von ihm wird im Alten Testament berichtet, dass er sein Recht als Erstgeborener für ein Linsengericht an seinen Bruder Jakob abgetreten hat. Bis heute wird eine momentan verlockende, in Wahrheit aber geringwertige Gabe im Tausch für eine viel wertvollere als „Linsengericht“ bezeichnet. Vielleicht war Esau nur sehr hungrig. Oder er wollte einen Hinweis darauf geben, wie wertvoll Hülsenfrüchte sind. Zumindest ist die Erzählung ein Hinweis darauf, dass Bohnen, Linsen und Co. schon vor Tausenden von Jahren geschätzte Nahrungsmittel waren. Hülsenfrüchte oder Leguminosen zählen zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Es wird auch berichtet, dass Adam nach Abels Tod Linsen aß, beim Totenmahl für Abraham wurden Linsen gegessen. Linsen legte man im alten Ägypten den Pharaonen mit ins Grab. Bei den Griechen und Römern galten sie allerdings als Speise für das niedrige Volk. Im Laufe der Jahrhunderte und je nach Kultur änderte sich ihre Bedeutung und Wertschätzung. Archäologische Funde weisen auf die Verwendung von Hülsenfrüchten in unseren Breiten bereits vor 6.000 Jahren hin. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatte hierzulande jeder Bauernhof seinen Bohnen- und Erbsenacker. In vielen Ländern des globalen Südens sind Hülsenfrüchte Teil des täglichen Speiseplans. Dessen ungeachtet ist die UNO bestrebt, auf ihre Bedeutung hinzuweisen.
Das Jahr 2016 wurde zum „Internationalen Jahr der Hülsenfrüchte“ („International Year of Pulses“ – IYP2016) erklärt. Am Beispiel dieser Ackerfrüchte können, so die Begründungen aus Kreisen der Welternährungsorganisation (FAO), sehr eindrücklich unterschiedliche Aspekte globaler Fehlentwicklungen und positiver Veränderungen aufgezeigt werden. Drei Stichwörter dazu: Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität, gesunde Ernährung.
Ernährungssicherheit. Nach Angaben der FAO leiden 800 Millionen Menschen an Hunger oder Unterernährung, etwa 2,6 Milliarden an Mangel- und Fehlernährung, inkludiert ist dabei Fettleibigkeit. „Hülsenfrüchte sind enorm wichtig für die Bereitstellung ausreichender, gesunder und preiswerter Nahrungsmittel für breite Bevölkerungsteile in Afrika, Asien und Lateinamerika. Sie sind Teil der traditionellen Nahrung und liefern auf kleinen Anbauflächen große Erträge“, begründet José Graziano da Silva, Generaldirektor der FAO, das Engagement seiner Organisation für dieses Thema.
Leguminosen enthalten viele wertvolle Nährstoffe, allen voran Protein: Ein Drittel der Weltbevölkerung wird ungenügend mit Protein versorgt. Eigentlich besteht weltweit kein Eiweißmangel. Das OCL-Journal, ein Fachmagazin zu Ölsaaten, Getreide und Leguminosen, spricht von 555 Millionen Tonnen geerntetem pflanzlichen Protein jährlich. Von Hülsenfrüchten ohne Soja kommen allerdings nur drei Prozent des Proteins, von den Sojabohnen 18 Prozent. Der überwiegende Anteil ist in Getreide, Kartoffeln und Maniok enthalten, wobei der geringere Proteingehalt durch die weit höheren Erntemengen wettgemacht wird. Der geschätzte menschliche Bedarf an Protein beträgt rund 100 Millionen Tonnen.
Tiermast. Pflanzliches Eiweiß wird heute aber zum Großteil für die Tiermast verwendet. Tiere nutzen auch pflanzliche Proteinquellen, die sich nicht für den Verzehr durch Menschen eignen wie Gras, Grünzeug aus der Getreide- oder Zuckerrohrernte. Dennoch geht durch die Tiermast viel Protein verloren, das für die menschliche Ernährung genutzt werden könnte, allen voran jenes aus der Sojabohne. Es macht auch einen Unterschied, ob man Rinder, Schweine oder Geflügel mästet. Konkrete Berechnungen des Verlustes weichen stark voneinander ab. Man kann aber sagen, dass im Durchschnitt cirka fünf Kilogramm pflanzliches für ein Kilogramm tierisches Eiweiß nötig sind. Darüber hinaus ist der Wasserverbrauch bei der Produktion von Fleisch weitaus höher als bei Hülsenfrüchten.
Der Fleischappetit in der EU, den USA und zunehmend in der VR China lässt die Produktionszahlen von Soja in die Höhe schnellen. „Eine Bohne auf Abwegen“ hat ein Journalist den ganzen Problemkreis bezeichnet: Agrarindustrie und Monokultur, Regenwaldabholzung und Vertreibung von Kleinbauernfamilien, Landgrabbing oder gentechnisch verändertes Saatgut können am Beispiel der Sojabohne aufgezeigt werden (siehe Beitrag Seite 31). Dem gegenüber werden traditionell hunderte Sorten von Bohnen und Linsen vor allem von Kleinbauernfamilien angebaut. Diese gilt es zu fördern und zu unterstützen, weil Hülsenfrüchte nicht nur gesund sind und wesentlich kostengünstiger als tierisches Eiweiß, sondern auch die Bodenfruchtbarkeit unterstützen.
Ernährungssouveränität. Ernährungssicherheit allein genügt nicht. Sie muss, soll sie nachhaltig sein, durch Ernährungssouveränität erlangt werden. Diese geht von regionalen Bedürfnissen und Lösungen aus und schafft nicht einfach durch agroindustrielle Produktion Nahrungsmittel. Die monokulturelle Landwirtschaft reduziert die Artenvielfalt, erhöht die Abhängigkeit von Saatgut, mineralischem Dünger und Pestiziden und fördert letztlich die Verarmung der ländlichen Bevölkerung (siehe auch SWM 6/16, Seite 33).
Der dritte Aspekt, warum Hülsenfrüchten zu Recht größere Beachtung geschenkt werden sollte, ist die gesunde Ernährung. Besonders die Bevölkerung in reicheren Industrieländern könnte davon profitieren.
Alle Gesundheitsorganisationen empfehlen den Verzehr von Hülsenfrüchten, besonders auch zur Eindämmung sogenannter Zivilisationserkrankungen. Übergewicht, Diabetes, Herz-, Kreislauf- und Gefäßproblemen sowie bestimmten Krebsarten kann damit entgegengewirkt werden. Fleischessen ist bei uns in den Jahren des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg zum Statussymbol geworden. Heute ist es dies in Ländern wie China, Mexiko oder Brasilien.
Gesunde Ernährung. Erstaunlich, wie klug traditionelle Ernährungsweisen oft sind. In Brasilien kombiniert man Bohnen mit Reis, in Indien Linsen mit Reis, in Mexiko Bohnen mit Mais, in Ostafrika auch mit anderen Getreidearten. Heute ist wissenschaftlich belegt, dass die biologische Wertigkeit des Eiweißes von Hülsenfrüchten nicht so hoch ist wie jene von Fleisch.
Ihre Kombination mit bestimmten anderen Produkten versorgt den Körper jedoch mit essenziellen Aminosäuren, wodurch die Eiweißwertigkeit von Fleisch erreicht werden kann. Allein das Protein der Sojabohne ist jenem von Fleisch ebenbürtig.
In Ländern des globalen Südens werden derzeit bis zu 70 Prozent des Eiweißbedarfs mit Hülsenfrüchten gedeckt. Durchaus vielfältig und abwechslungsreich: In Kenia wird zum Beispiel das Gericht Githeri bereits zum Frühstück gegessen. Dabei werden Bohnen mit Mais gemischt, gekocht und dann gebraten. Im riesigen Indien mit seinen Hunderten von Volksgruppen, Sprachen, Kulturen und Traditionen findet sich landauf, landab eine Zutat in zahlreichen Variationen in allen Kochtöpfen: Dal – Linsen. Sojabohnen waren vor allem in Form von Tofu in China oder Japan über Jahrhunderte Eiweißlieferant Nummer eins. Mit dem zunehmenden Fleischkonsum sinkt ihre Bedeutung und auch der Anbau als Nahrungsmittel geht zurück.
Superfood schlechthin. Nicht allein wegen des Proteinanteils sind Leguminosen gesund. Sie liefern wenig Fett (Ausnahme: Erdnüsse), aber wichtige Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe. Ihre komplexen Kohlenhydrate geben anhaltende Kraft, weil diese Energiespender nur langsam verdaut werden und damit den Blutzuckerspiegel konstant halten. Vitamine B1, B2, B6 sind für gute Nerven unerlässlich, Vitamin E und Folsäure zur Bildung von Eisen. Zink erhöht die Abwehrkräfte, Kalzium und Kalium stärken schließlich die Knochen. Nur die schwer verdaulichen Zuckermoleküle können Verdauungsprobleme verursachen. Sie werden im Dünndarm nicht aufgeschlossen und sind die Ursache von Blähungen. Richtiges Kochen unter Zusatz von Gewürzen wie Kümmel oder Anis und das regelmäßige Essen von kleinen Portionen kann die Toleranz des Körpers erhöhen.
Hülsenfrüchte müssten eigentlich als Superfood schlechthin gelten. Dennoch führen sie in unseren Breiten ein Nischendasein. Sie gelten als Arme-Leute-Essen. So sind auch Kenntnisse über diese Pflanzen und deren Anbau in Mitteleuropa stark zurückgegangen. Lediglich jene, die vegetarische oder vegane Ernährung für sich entdeckt haben, kommen an Hülsenfrüchten als Proteinquelle nicht vorbei. Die Tendenz ist steigend. Und schon gibt die Industrie darauf ihre eigenen Antworten. Seit 2010 wurden in der EU 3.500 neue Produkte angemeldet, die auch Hülsenfrüchte in irgendeiner Form enthalten, berichtet der Schweizer Konzern Bühler AG, der auf Technologien für Nahrungsmittelproduktion spezialisiert ist, im März d. J. Ob alle der Gesundheit dienen, hängt wohl nicht zuletzt von den vielen weiteren Zutaten, Zusatzstoffen und der Verarbeitungsart ab.
Zahlreiche Variationen. Wir alle kennen Acker-, Kidney-, Mungo-, Käfer-, Wachtel- oder Limabohnen, Erbsen, Teller- und Belugalinsen, Sojabohnen, Kichererbsen, Erdnüsse und Lupinen. Zirka 600 Gattungen werden zur Familie der Leguminosen gezählt, jede einzelne mit zahlreichen Arten ausgestattet. In der Literatur werden bis zu 17.000 angegeben. Werden sie grün geerntet wie Brechbohnen oder Frischerbsen, zählt man sie übrigens zum Gemüse, und sie enthalten viel weniger Protein. Hülsenfrüchte wachsen als Bäume, Sträucher, Stauden und einjährige Kräuter aufrecht oder rankend. Sie finden sich in tropischen und subtropischen Regenwäldern über Savannen und Steppen bis in Wiesen und Heiden der temperierten Gebiete und an die Grenze der Arktis.
Allen Sorten ist eine wunderbare Eigenschaft gemein: Sie sind praktisch ihre eigene Stickstoff-Fabrik. Dadurch nehmen sie eine Sonderstellung unter den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen ein. Die Wurzelknöllchen der Leguminosen gehen eine Symbiose mit Bakterien ein. So können sie Stickstoff aus der Luft binden, was der Bildung von Eiweiß dient. Damit nicht genug. Der Stickstoff reichert den Boden an und steht in der Fruchtfolge den nächsten Pflanzen, etwa Getreide, zur Verfügung. Die Bodenfruchtbarkeit wird erhöht, was besonders für den biologischen Ackerbau unerlässlich ist, weil mineralischer Dünger nicht nötig ist.
Der Anbau von Leguminosen hat im Übrigen in Deutschland oder Österreich geringe Bedeutung. Selbst Bohnen und Frischerbsen machen zusammen weniger als zehn Prozent der Anbaufläche von Freilandgemüse aus, berichtet aid, ein gemeinnütziger deutscher Informationsdienst im Bereich Landwirtschaft. Sie kommen frisch gepflückt, tiefgefroren oder in Konserven auf den Markt. Trockene Hülsenfrüchte werden fast ausnahmslos importiert.
Menschen, die Hülsenfrüchte selten oder nie essen, meinen vielleicht, alle Bohnen und Linsen schmecken ähnlich bzw. nach nicht viel. Sie sollten bewusst Belugalinsen mit ihrem nussigen Aroma probieren oder die milden Wachtelbohnen, vielleicht auch die guten alten steirischen Käferbohnen, die intensiv nach Maroni schmecken, eine Suppe aus würzigen roten Linsen oder die süßen Kidneybohnen in einem Chili sin carne. Für Vielfalt an Farben, Formen und Geschmack hat die Natur gesorgt.
Brigitte Pilz ist freie Journalistin in Wien und Herausgebervertreterin des Südwind-Magazins.
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